Opfer-Täter Transition
Die männliche Opfererfahrung und Tätererfahrung ausschließlich dichotom zu betrachten, greift zu kurz (Bowlby, 1973). Der Fachbegriff der Opfer-Täter Transition beschreibt den Zusammenhang zwischen eigenen Opfererfahrungen, die spätere eigene Gewaltausübung begünstigen. Erklärungen für Transitionsprozesse finden sich in der Bindungstheorie von Bowlby („Attachment-Theorie“, 1973). Aus der Bindungstheorie-Perspektive heraus verankert ein Kind die unterschiedlichen Beziehungserfahrungen, die es mit seinen Bindungspersonen macht, tief emotional.
Verunsicherte Kinder mit unsicheren Bindungsmuster können Angst und Kummer schwer kontrollieren, wenden sich ab statt Trost zu suchen und vermeiden Beziehungen. Diese Verhaltensmuster ziehen sich ins Erwachsenenalter und können zu problematischen Beziehungskonstellationen in der Partnerschaft führen (Brisch & Hellbrügge, 2003).
Im Rahmen einer Online-Befragung von 780 Fußballfans (Deimel et al., 2018) gaben 61,9% an, Gewalttäter bei Fußballspielen gewesen zu sein. Charakteristische Merkmale der Befragten waren ein niedriger Bildungshintergrund, erhöhte Aggressivität und eigene Erfahrungen als Gewaltopfer. Ihre Persönlichkeit war geprägt von erhöhter Aggressivität und Egozentrik, aber auch von Misstrauen und Unsicherheit.
Eine kriminaltechnische Auswertung von Berliner Jugendlichen als Opfer und TäterInnen (Baier & Pfeiffer 2011) kam zu dem Ergebnis, dass Gewaltausübung in erster Linie ein Thema männlicher Jugendlicher ist: Von den insgesamt 1.536 Schülern (durchschnittliches Alter 15,1 Jahre) aller Schularten in Berlin betrug der Anteil männlicher Täter, die mindestens einmal Gewalt ausgeübt hatten, 49,8%. Das Autorenteam hob insbesondere die Opfer-Täter Transition hervor: Befragte, die mehrmals im Schuljahr Opfer von physischen Angriffen waren, haben zu 62,9% selbst gewalttätiges Verhalten angegeben. Dieses Muster war unabhängig von Geschlecht oder Migrationshintergrund. Obwohl die Befragung ausschließlich in Berlin stattfand, wiesen die Zahlen nach Aussage der Autoren kaum Veränderungen zu den bundesweiten Zahlen auf.
Präventionsempfehlungen sollten die Täter-Opfer-Transition berücksichtigen (Baier & Pfeiffer, 2011). Danach ist die Prävention vor Opferschaft zugleich auch Prävention vor Täterschaft und Täterprävention kann immer auch als Prävention vor Opferschaft angesehen werden.